Wendepunkte, Lebensbrüche…
Mein aktueller Bruch ist der eines kleinen Knochens im Becken! Nur eine unglückliche Bewegung, und es verändert sich ganz viel. Und es tut weh.
Der Schmerz, die ärztlich verordnete Schonung und ein Krücken-Paar zwingen mich zur absoluten Langsamkeit. Mein Tempo gleicht dem einer gemächlichen Schnecke. So fühlt es sich an. Mein Lebenselixier Spazierengehen und Wandern fällt für eine Weile komplett aus.
Sehr blöd!
Aber ich staune auch…
... im Bus heute, als ich mit meinen Krücken einstieg, sprangen gleich drei Menschen auf, um mir ihren Platz anzubieten.
... der meist grummelige verschlossene Hausnachbar wird schlagartig aufmerksam und fragt, ob ich Hilfe brauche.
... Vieles was ich eigentlich geplant hatte geht jetzt einfach nicht. Der Kalender leert sich. Somit habe ich: ZEIT.
... ich lerne Demut: Welch hohen Wert ein funktionierender, nicht schmerzender Körper hat.
... wenn ich eine Schnecke wäre: wie wahnsinnig schnell, hektisch und laut doch Vieles um einen herum ist.
Die Drosselung meines Tempos lässt mich jedenfalls viel Neues erfahren. Andere Perspektiven erleben. Bin auch noch nie so vielen Menschen mit Krücken begegnet - so geht also "selektive Wahrnehmung".
Ich versuche die Verlangsamung meines Lebens, das für eine Weile Innehalten müssen jetzt anzunehmen. Wenn der Schmerz zwischendurch nachlässt, ist es sogar ein kleines Geschenk.
Wünscht man sich nicht oft, mehr Muße für Dinge zu haben?
Ich habe sie jetzt! In der Hoffnung, dass sie auch mein Elixier zur raschen Heilung ist...
„Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen? Ob nicht unser Handeln selbst, wenn es später kommt, nur der letzte Nachklang einer großen Bewegung ist, die in untätigen Tagen in uns geschieht? Jedenfalls ist es sehr wichtig, mit Vertrauen müßig zu sein, mit Hingabe, womöglich mit Freude. Die Tage, da auch unsere Hände sich nicht rühren, sind so ungewöhnlich still, dass es kaum möglich ist, sie zu erleben, ohne vieles zu hören.“ (Rainer Maria Rilke)
Ich fand so viele Texte und Zitate dazu. Sie erscheinen mir wie eine Aufforderung, sich (mehr) Muße im Leben zu erlauben…
"Von der Hektik und der langsamen Seele:
Ein Afrikaforscher konnte es nicht erwarten, endlich ins Landesinnere vorzustoßen. Um früher an sein Ziel zu gelangen, zahlte er seinen Trägern ein zusätzliches Gehalt, damit sie schneller gingen, und über mehrere Tage lang legten die Träger ein schnelleres Tempo vor. Eines Abends jedoch setzten sich alle auf den Boden, legten ihre Bündel ab und weigerten sich weiterzugehen. So viel Geld er ihnen auch anbot, die Träger rührten sich nicht von der Stelle. Als der Forscher sie schließlich nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, erhielt er folgende Antwort: "Wir sind so schnell gegangen, dass wir nicht mehr recht wissen, was wir tun. Darum warten wir, bis unsere Seele uns eingeholt hat." (Paolo Coelho)
„Die Muße scheint Lust, wahres Glück und seliges Leben in sich selbst zu tragen.“ (Aristoteles)
„Allgemein ist die Hast, weil jeder auf der Flucht vor sich selbst ist, allgemein auch das scheue Verbergen dieser Hast, weil man zufrieden scheinen will und die scharfsichtigeren Zuschauer über sein Elend täuschen möchte, allgemein das Bedürfnis nach neuen klingenden Wort-Schellen, mit denen behängt das Leben etwas Lärmend-Festliches bekommen soll.“ (Friedrich Nietzsche)
„Der größte Feind der Qualität ist die Eile.“ (Henry Ford)
„Wenn ich nicht im Grunde ein sehr arbeitsamer Mensch wäre, wie wäre ich je auf die Idee gekommen, Loblieder und Theorien des Müßiggangs auszudenken. Die geborenen, die genialen Müßiggänger tun dergleichen nie.“ (Hermann Hesse)
„Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.“ (Antoine de Saint-Exupéry)
„Statt zu sagen: Sitz nicht einfach nur da – tu irgendetwas, sollten wir das Gegenteil fordern: Tu nicht einfach irgendetwas – sitz nur da.“ (Thích Nhat Hanh)
Comments