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Was bedeutet es, introvertiert zu sein in einer lauten Welt ?

Autorenbild: Barbara BretschneiderBarbara Bretschneider

Aktualisiert: 11. Jan.

Sprich nur, wenn Du die Stille verbessern kannst. (Ghandi)


Die Kraft der "Introvertierten"


Ich fand es immer unfair, dass die mündliche Beteiligung in der Schule höher bewertet wurde als die schriftliche. Denn ich war besser im Schreiben. Die mündliche Note war wie eine kleine Strafe für mich. Dieser schwelende Druck, mich im Unterricht mehr melden zu müssen. "Sag Du doch auch mal was" war Teil meines Alltags. Ich sei so zurückhaltend, so schüchtern. Das habe ich oft gehört, und es stand manchmal in meinem Zeugnis: "zu still". Ich habe damals verinnerlicht, dass ich damit eine Schwäche habe, und es wohl besser und wichtiger ist, den Mund zu öffnen, zu reden, sich zu beteiligen. Mal Schweigen, einfach Zuhören oder meine Gedanken aufschreiben (…und gerade darin war ich doch gut!) wurde eigentlich gar nicht wertgeschätzt. Jedenfalls nicht genug.


Je älter ich wurde, desto häufiger fragte ich mich, ob es nicht auch Vorteile hat introvertiert zu sein. Ich habe viel recherchiert und beobachtet. Ich verstand mehr und mehr, dass introvertierte Menschen sich weniger im Außen orientieren, sie schauen mehr nach innen. Sie sind oft kreativ, können sich gut konzentrieren, gut zuhören und sich empathisch in andere hineinversetzen und mitfühlen. Durch ihr ruhiges und bedachtes Auftreten haben Sie eine natürliche Autorität. Sie denken ziemlich viel nach ( über sich und Andere) und haben oft ein hohes Maß an Selbsterkenntnis. Daher werden sie sicher auch häufiger um Rat gefragt.


Auch in der Stille liegt eine große Kraft


Besonders erhellend fand ich bei meinen Recherchen das Buch „Still - Die Kraft der Introvertierten“ von Susan Cain. Die Lektüre war ein kleiner Wendepunkt für mich, weil das was auf den 450 Seiten zu lesen ist, mich so beruhigt, ja fast erleichtert, hat!


Wir leben in einer lauten Welt. In einer Welt, in der häufig die extrovertierten Menschen den Ton angeben: im Privaten, in der Schule, im Job und inzwischen in den sozialen Medien. Das „Ideal der Extraversion“.. einwandfreie Vorträge halten können und das Rampenlicht nicht scheuen. Selbstbewusstes Auftreten... das zählt! Wer es nicht kann, sollte es lernen, um erfolgreich und beliebt zu sein. Es gibt einen riesigen Markt für entsprechende Trainingsangebote.


Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass „Introvertierte" besonders schüchterne, zurückhaltende oder gar un-soziale Menschen sind. Introvertiertheit hat noch mehr mit der Tatsache zu tun, dass wir „Introvertierten“ uns im Rückzug oder dem Alleinsein eher erholen als in Interaktion bzw. der Gesellschaft von Menschen. Und dass wir Ruhe und Zeit für uns selbst benötigen (statt Parties oder Familienfeiern), um unsere Gedanken und Ideen zu formen (statt Gruppenübungen oder Brainstorming...). Ein introvertierter Mensch braucht viele Auszeiten, um in einer Welt zurecht zu kommen, die sich oft an die Lauteren wendet.


Introvertiert und extrovertiert - das sind zwei entgegengesetzte Pole. Dabei haben ihre jeweiligen Persönlichkeitseigenschaften beide ihren (hohen) Wert. Nichts davon ist per se besser oder schlechter. Zu erkennen, dass es beide Pole gibt und diese gegenseitig besser zu verstehen ist aus meiner Erfahrung eine elementare Voraussetzung für ein gutes Miteinander in Beziehungen, Freundschaften, Familien und besonders auch im schulischen und beruflichen Kontext.


Auch in der Stille liegt eine Kraft

Ich begleite Menschen, die ihre Introversion als Defizit erleben. Sie unterschätzen sich selbst und trauen sich daher Vieles nicht zu. Sie haben manchmal das Gefühl, anders sein zu müssen… teamfähiger, dominanter, geselliger, gesprächiger - also eben: extrovertierter. Das kann einen unangenehm unter Druck setzen und sogar richtig Stress erzeugen. Gemeinsam erarbeite ich mit ihnen ihre persönlichen Kompetenzen, die ihrer eigenen natürlichen Veranlagung entsprechen. Dann zeigen sich meist überraschend viele Stärken und Vorteile, was sie viel mutiger und selbstbewusster werden lässt.


"Die Nachdenklichen verändern die Welt" - meine Buchempfehlung ...


Wen das Thema interessiert, dem kann das Buch wärmstens empfehlen: „Still - Die Kraft der Introvertierten“ (Susan Cain). Der Originaltitel lautet so passend "Quiet - The Power of Introverts in a World that can’t stop talking“. Auszug aus dem Klappentext: "Die Nachdenklichen verändern die Welt! (…) Susan Cain bricht eine Lanze für die Introvertierten und zeigt wie wichtig sie für unsere Gesellschaft sind. Ohne Introvertierte hätten wir keine Relativitätstheorie, keinen Harry Potter, keine Klavierstücke von Chopin, und auch die Suchmaschine Google wäre nie entwickelt worden. Susan Cain ermutigt leise Menschen dazu, die eigenen Introversion zu erkennen und anzunehmen. Denn in der Stille liegt die Kraft!"


Weitere empfehlenswerte Bücher dazu:

"Intros und Extros - Wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren“ von Sylvia Löhken (Gabel Verlag) sowie

"So schön still - Die Stärke introvertierter Kinder und Eltern“ von Eva Lohmann (Rowohlt Verlag)

"Wie ein Reh auf einem Rockkonzert"... so beschreibt Eva Lohmann das Gefühl, sich als leises Kind in dieser Welt zu bewegen.

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